
Vor genau drei Monaten ist unser lieber Rocky ins Licht gegangen.
Er ist 14 Jahre alt geworden. Heute habe ich genug Abstand, um diesen sehr persönlichen Moment meines Lebens mit Ihnen zu teilen.
Sechs Tage davor hatte er aufgehört zu fressen. Wir dachten zunächst, es läge an der langen Reise nach Frankreich, an den Veränderungen seiner Umgebung. Oder weil er während der Fahrt ungewohntes Futter bekommen hatte? Oder vielleicht weil er nach unserer Ankunft angeleint werden musste wegen des Wilds, das gelegentlich am Haus vorbeilief? Wir zogen sämtliche Register, vergeblich.
Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben wollten: Unser Rocky war alt geworden, seine Kräfte vermindert, und er machte keine Anstalten mehr, seinem Verfall durch Nahrungsaufnahme entgegenzuwirken.
Bereits in den Monaten davor konnten wir beobachten, wie er beim Aufstehen aus seinem Körbchen manchmal taumelte, wie er nicht mehr reagierte, wenn es an der Tür läutete oder wenn ihn jemand von uns zum „Gassigehen“ rief. Als liebender Hundehalter denkt man immer, das gibt sich wieder. Aber Rocky war müde und verbraucht wie eine ausgebrannte Kerze.
Auf dem Weg zum Wassernapf ist er einfach umgefallen und war tot. Und da lag er nun vor uns auf dem Boden der Küche unseres Ferienhauses. Vielmehr war das nicht wirklich er, denn dieser leblose, zähe, wie ein schwerer Sack anmutende Körper, hatte nichts mehr mit ihm gemein, vibrierte nicht länger vor Lebendigkeit und Energie.
Zwar war er noch warm, fühlte sich aber trotz des vertrauten Fells fremd an. Er lag auf der Seite, die langen Beine von sich gestreckt, die Augen halb geöffnet. Die Zunge hing ihm aus dem Maul. Er hatte sich von selbst auf den Weg gemacht und uns damit erspart, irgendwann eine schmerzliche Entscheidung treffen zu müssen.
Das vorletzte Mal, dass ich ihn lebend gesehen hatte, war etwa sechs Stunden vor seinem Tod. Nachts um 1 Uhr war ich aufgestanden, weil ich aus unerfindlichen Gründen Zahnschmerzen hatte, und kramte in der Reiseapotheke nach Abhilfe.
Ich spürte eine Bewegung hinter mir und wandte mich um.
Rocky war von seinem Schlafkissen aufgestanden, und ich sah ihn von hinten, wie er ins Gegenlicht ging. Das hatte etwas Gespenstisches, weil er – ähnlich einer langen Schleppe – seine braune Schmusedecke hinter sich herzog, unter der sich die inzwischen knochigen, abgemagerten Konturen abzeichneten.
Er blieb stehen, und ich dachte, es wäre ihm vielleicht zu mühsam, sich in seinem geschwächten Zustand mitsamt der Decke fortzubewegen. Ich zog sie ihm sanft ab und legte sie zurück auf sein Kissen.
Aber er ging nicht weiter, sondern drehte sich zu mir herum und schaute mich an. Ich flüsterte, er möge sich doch wieder schlafenlegen.
Doch er verharrte, reglos wie eine Statue, und schaute mich weiterhin an aus seinem blass ergrauten Gesicht mit den sprechenden, warmen Augen.
Ich streichelte ihn, redete weiter auf ihn ein und verstand nicht – wollte nicht verstehen –, dass er sich gerade von mir verabschiedete.
Da sich diese Szene direkt neben seinem Schlafplatz abspielte, ließ ich ihn stehen und ging todmüde zurück ins Bett, im Vertrauen, er würde sich von selbst wieder hinlegen, und in der Hoffnung, die Schmerztablette würde wirken.
Nie hätte ich gedacht, dass dies unsere letzte Begegnung gewesen sein könnte. Zumal er an diesem Tag wenigstens eine Winzigkeit gefressen hatte und ich voller Hoffnung war, am nächsten Tag würde es noch mehr werden. Und so war ich zusätzlich beruhigt, als ich um 5:30 Uhr ins Wohnzimmer spähte und Rocky mit Lucy zusammengekuschelt auf seinem Schlafkissen liegen sah.
Gegen 7 Uhr stand mein Mann abrupt auf, weil er von einem dumpfen Poltern geweckt worden war. Ich zog mir die Decke über den Kopf, wollte nach der kurzen, unterbrochenen Nacht weiterschlafen, beruhigt, dass er sich um die Hunde kümmern würde. Doch er kam sofort zurück an mein Bett.
„Du, ich glaube, Rocky ist gerade gestorben.“
Schlagartig war ich wach. Ich sprang auf und im selben Moment brach mein Herz.